Eine Selbstkritik – Warum hier nicht mehr für die Demonstration am 21. Oktober 2022 in Lüneburg geworben wird:
Wir hatten in den letzten Tagen die Solidaritätsdemo für die Frauenrevolution im Iran, die am 21. Oktober 2022 in Lüneburg stattfinden soll, beworben und auch das entsprechende Sharepic geteilt. Wir haben unsere Unterstützung für diese Demonstration am gestrigen Tag eingestellt und auch die Bilder wieder gelöscht.
Da wir unsere Beiträge mit dem Slogan der kurdischen Frauenbewegung – Jin Jiyan Azadî – versehen haben, ist der Eindruck entstanden, dass die Demonstration einen solidarischen, internationalistischen Charakter haben würde, die im Sinne eines gemeinsamen Kampfes von und für Frauen gegen Patriarchat, Unterdrückung und Gewalt stattfindet. Wir wussten und wissen nicht genau wer diese Demonstration organisiert. Einige Rückmeldungen ließen uns darauf vertrauen, dass es sich um eine richtige und unterstützenswerte Aktion handeln würde. Da haben wir uns leider getäuscht und möchten uns dafür entschuldigen, dass wir einen falschen Eindruck von der Demonstration vermittelt und sie auch noch beworben haben. Wir werden an dieser Demonstration nicht teilnehmen.
Was ist geschehen?
Eine Mehrheit der organisierenden Menschen hat sich für eine Distanz zur kurdischen Freiheitsbewegung ausgesprochen und einen Redebeitrag der kurdischen Frauenbewegung abgelehnt.
Mitte September 2022 begann im Iran ein landesweiter Aufstand von Frauen. Auslöser war der Tod der 22-jährige Kurdin Jina Mahsa Amini aus Seqiz (Saqqez). Sie war am 13. September 2022 in Teheran von der „Moralpolizei“ festgenommen worden, weil sie gegen die islamische Kleiderordnung verstoßen haben soll. Auf einer Wache wurde sie zu Tode geprügelt. Seitdem wird das Land von einer massiven Protestwelle erfasst, die der herrschende Klerus mit purer Gewalt zu niederschlagen versucht. Weltweit solidarisieren sich Menschen mit den Aufständen, die sich aus Seqiz auf ganz Iran ausgebreitet haben und zu einem Hoffnungsschimmer der Frauen und Völker geworden sind.
Der Mord an Jina Mahsa Amini zeigt den Charakter des iranischen Staats, Frauen in die Versklavung und allumfassende Unterwerfung zu zwingen. Erniedrigungen, Verschleppung, Verhaftung, Vergewaltigung, Ermordungen von Frauen stehen auf der Tagesordnung des iranischen Regimes. Die Zuspitzung des patriarchalen Systems ist auch eine Antwort des Iran auf das Aufbegehren und dem Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung der Menschen und insbesondere der Frauen des Irans.
Der Aufstand begann in Rojhilat (Ostkurdistan) des Irans. Die kurdischen Gebiete des Irans sind auch heute noch Zentrum des Aufstandes und kurdische Frauen sind im besonderen Maße von den brutalen Angriffen des iranischen Staats betroffen.
Die Frauen in Rojhilat und im Iran erheben sich in internationaler, revolutionärer Verbundenheit gegen das bestehende System, welches 5000 Jahre Patriarchat in sich manifestiert hat. Sie beziehen sich aufeinander, kämpfen gemeinsam und überwinden so auch die Grenzen rassistischer und nationalistischer Spaltung. Vereint durch die Parole „Jin Jiyan Azadî! „Frau Leben Freiheit“, die durch die kurdische Freiheitsbewegung geprägt und mit Leben gefüllt wurde.
Was in Rojhilat und im Iran den Widerstand ausmacht, scheint nach Lüneburg noch nicht durchgedrungen zu sein. Hier wurden die Frauen der kurdischen Freiheitsbewegung ausgegrenzt und eine Spaltung und Schwächung des Frauenwiderstands betrieben. Die Organisatorinnen der Demonstration haben sich zudem die Parole „Jin Jiyan Azadî!“ angeeignet ohne den inhaltlichen Hintergrund und die Herkunft zu berücksichtigen bzw. anzuerkennen. Auch wenn sich die Parole in englischer Übersetzung auf dem Mobibild findet, werden die Ideengeberinnen dieser Parole unsichtbar gemacht und sogar bewusst ausgegrenzt.
Aktuell erleben wir überall, dass die Parole sich angeeignet und zweckentfremdet wird. Sogar Regierungspolitiker*innen der BRD oder reaktionäre und neoliberale Kreise missbrauchen die Parole für sich und versuchen den Aufstand und die Protestbewegung für sich zu vereinnahmen. Damit sollen Herrschaftsstrukturen gefestigt werden oder militärische Interventionen der imperialistischen Großmächte legitimiert werden.
Wir hoffen das die Initiator*innen der Lüneburger Demonstration ihre Entscheidung nochmal überdenken und zu einem gemeinsam Kampf aller Frauen und freiheitsliebender Menschen kommen. Denn: „Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten!“
Jin Jiyan Azadî!
Lüneburg, 20. Oktober 2022