Gegen die pauschale medizinische Altersfeststellung bei unbegleiteten jungen Flüchtlingen.
Rassismus bekämpfen – AfD halt´s Maul!
Die Fraktionen der AfD im Lüneburger Kreistag wie auch im Stadtrat wollen beantragen, dass die Verwaltung des Landkreises Lüneburg aufgefordert wird, sich dafür einzusetzen, dass die medizinische Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) durch das Jugendamt im Landkreis Lüneburg zur Pflicht wird. Der Vorsitzende der Lüneburger Kreistagsfraktion und Landtagsabgeordnete Stephan Bothe begründet die rassistische Forderung seiner Partei, mit Gewalttaten in Kandel und Celle, „bei denen es zu versuchten, bzw. vollendeten Tötungsdelikten von unbegleiteten, angeblich minderjährigen – augenscheinlich aber bereits volljährigen Flüchtlingen kam“. Laut AfD besteht jetzt ein dringender Handlungsbedarf, „um die Bürger besser vor Gewalttaten durch Flüchtlinge zu schützen“.
Die AfD versucht Gewaltverbrechen und Morde zu instrumentalisieren. Angebliche Mängel bei der Altersfeststellung minderjähriger Schutzsuchender werden hochstilisiert, um rassistische und flüchtlingsfeindliche Positionen zu etablieren. Bei dieser Debatte geht es der AfD und anderen Vertretern dieser Forderung nicht um Gewaltprävention oder dem Schutz von Frauen vor Übergriffen durch Männer, es geht vor allem um das Anheizen von Ressentiments und Vorurteilen, um Stimmen am rechten Rand abzugreifen.
Leider gibt die Lüneburger Landeszeitung diesem rassistischen Unsinn in ihrer Ausgabe vom 1. Februar 2018 breiten Raum, ohne die Forderungen der AfD kritisch zu hinterfragen oder mit Hintergründen zu unterfüttern. Flüchtlingsinitiativen kritisieren seit langerm die Praxis der medizinischen Altersfeststellung bei minderjährigen Flüchtlingen. In diversen Stellungnahmen dazu wurde auch auf den rassistischen Gehalt dieses Diskurses hingewiesen. Dazu ist in der Lüneburger Landeszeitung leider nichts zu lesen, stattdessen wird der AfD mal wieder ein Forum für ihren Rassismus geboten.
Keine Straftat wird dadurch verhindert
In der Debatte und den rassistischen Forderungen der AfD spielen wie so oft weder Logik noch Fakten eine Rolle. Ganz im Gegenteil: Sie werden bewusst ausgeblendet. Es ist absurd, medizinische Altersfeststellungen als Mittel der Verbrechensprävention verkaufen zu wollen. Keine Straftat wird dadurch verhindert, dass man das genaue Alter eines jungen Menschen zu kennen glaubt. Eine Prävention von Verbrechen erfordert vielmehr, dass junge, häufig traumatisierte Geflüchtete engmaschig betreut und unterstützt werden und dass es ausreichende psychologische Behandlungsangebote und Integrationsangebote gibt. Das aber wird durch die Einschätzung junger Geflüchteter als volljährig jedoch gerade verhindert. Jugendhilfe gibt es dann nicht, und Asylsuchenden wird mangels angeblicher „Bleibeperspektive“ der Zugang zu Sprachkursen und Integrationsmaßnahmen versagt. In der Regel haben die jungen Menschen auch keinen Anspruch auf einen Nachzug ihrer Eltern und Geschwister, selbst wenn sie einen Schutzstatus erhalten. Ohne staatliche und familiäre Unterstützung sind diese jungen Menschen dann oft auf sich alleine gestellt. Gesellschaftliche Umstände rechtfertigen keine individuellen Verbrechen. Aber wer über gesellschaftliche Umstände als wichtige Ursachen für individuelle Verbrechen nicht reden will, sollte von Opferschutz besser schweigen.
Verhältnismäßige Mittel sind geboten
Eine erforderlichenfalls auch medizinische Altersfeststellung bei unbegleiteten Flüchtlingen ist bei entsprechenden Zweifeln bereits nach geltendem Recht möglich, vor allem durch die Jugendämter, aber auch durch viele andere Institutionen wie dem BAMF oder den Ausländerbehörden. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags spricht von einer Zuständigkeitsvielfalt. Unabhängig davon kann die (medizinische) Altersfeststellung im Ermittlungs- und Strafverfahren, also nach einer Straftat, eine wichtige Rolle spielen. Das ist gängige Praxis und Rechtslage, von der auch regelmäßig Gebrauch gemacht wird. Dabei geht es jedoch immer um Feststellungen im Einzelfall und um die gebotene Wahl der richtigen und verhältnismäßigen Mittel zur Altersfeststellung – im Gegensatz zur rechten Forderung nach anlasslosen, flächendeckenden medizinischen Altersfeststellungen.
Methoden medizinischer Altersfeststellungen sind mehr als ungenau
Grundsätzlich ist eine medizinische Altersfeststellung ein Eingriff in die Grundrechte. Der Präsident der Bundesärztekammer Montgomery erklärte: „Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.“ Ärzte verweigern sich deshalb aus gutem Grund und mit Verweis auf die medizinische Ethik gegen pauschale medizinische Altersfeststellungen. Immer wieder werden in der Praxis nicht nur Röntgenuntersuchungen, sondern auch Begutachtungen der Genitalien vorgenommen, was nicht nur demütigend ist, sondern für junge Schutzsuchende, insbesondere durch sexuelle Gewalt traumatisierte Jugendliche, eine retraumatisierende Wirkung haben kann. Dabei ist seit langem bekannt, dass die Methoden medizinischer Altersfeststellungen mehr als ungenau sind. Körperliche Reife kann sehr unterschiedlich sein und auch vermeintlich „objektive“ Methoden wie das Röntgen der Handwurzel weisen große Fehlerquoten auf. Nach empirischen Untersuchungen gibt es hier eine Standardfehlerquote von mehr als 14 Monaten bis zu fünf Jahren. Häufig geht es bei der Altersfeststellung aber gerade um die „Grenzfälle“, bei denen sich der Unterschied zwischen 16-jährig oder 18-jährig auf die Rechtslage, etwa im Asylverfahren, dramatisch auswirkt, unter anderem was den Familiennachzug betrifft.
Scheinheilige Debatte
Eine pauschale medizinische Altersfeststellung bei unbegleiteten jungen Flüchtlingen stellt auch wegen dieser massiven Fehlerquote einen unzulässigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit Schutzsuchender dar. Kein mögliches Verbrechen würde damit verhindert. Dafür stehen CSU und AfD für eine restriktive Asylpolitik der Ausgrenzung, die sehenden Auges eine kriminelle Entwicklung junger Geflüchteter eher befördert als behindert. Die Debatte ist damit auch zutiefst scheinheilig.
Die Forderung der AfD nach medizinischer Altersfeststellung bei allen unbegleiteten Flüchtlingen ist nicht nur grundrechtswidrig und untauglich, sondern stellt auch einen Eingriff in die persönliche Unversehrtheit und eine Vorverurteilung Schutzsuchender dar. Mit ihrem Antrag, offenbart die AfD mal wieder den rassistischen Charakter dieser Partei.
Die Fraktionen im Lüneburger Kreistag und Stadtrat sind aufgefordert, sich unmissverständlich gegen die Anträge der AfD zu stellen!