Der Nazi-Gaul muss weg!
Stellungnahme der Antifaschistischen Aktion Lüneburg / Uelzen anlässlich der Einweihung des Eisenbahnwaggons am 22. März 2015, in dem ein Informations- und Gedenkort über die Ermordung von über 200 KZ-Häftlingen im April 1945 eingerichtet wird. Allerdings steht dieser Waggon neben einer Pferdestatue, die dem ehemaligen NS-Gauleiter Telschow gehörte.
Nach vielen Jahren wird heute der Eisenbahnwaggon endlich eingeweiht und das Projekt der Lüneburger Geschichtswerkstatt kommt zu einem Abschluss. Wir begrüßen, dass hier ein Ort des Gedenkens und der Mahnung geschaffen worden ist und dass jetzt an die Opfer der Naziverbrechen im April 1945 in der Öffentlichkeit der Lüneburger Innenstadt erinnert wird.
Wenn heute hier der Eisenbahnwaggon – mit dem an die Verbrechen im April 1945 in Lüneburg und die ermordeten KZ-Häftlinge erinnert werden soll – eingeweiht wird, fällt ein brauner Schatten auf diese Veranstaltung:
Direkt neben dem Eisenbahnwaggon steht der sog. „Telschow-Gaul“. Die 1923 geschaffene Bronzestatue brachte der Nazi-Gauleiter Otto Telschow in seinen Besitz und stellte das Pferd vor seinen Hof in Lopau. Die Pose des Pferdes gefiel dem Naziverbrecher, der ein ähnliches Bild schon für den „Niedersachsen-Stürmer“ (der Zeitung der regionalen NSDAP) nutzte. Das Tier diente Telschow als heroisches Sinnbild. Nach der Befreiung Lüneburgs vor 70 Jahren beschlagnahmte die britische Militärregierung den Besitz von Otto Telschow und das Bronzepferd wurde eingelagert. In den 1950er Jahren wurde es dann in Lüneburg wieder aufgestellt und steht seitdem öffentlich im Wandrahmpark. Damals schien es opportun, so einen Nazikitsch wieder aufzustellen. In einer Zeit wo, auch Naziverbrecher wieder höchste Ämter in der Verwaltung, der Justiz, Politik oder später in der Bundeswehr einnehmen konnten.
In Lüneburg finden sich bis heute die Insignien des deutschen Faschismus und Militarismus, wie die beiden Reiterstandbilder im Clamartpark und an der Johannes-Gutenberg-Straße. Daneben werden die Kriegsverbrecher der 110. Infantriedivision mit einem Gedenkstein weiterhin geehrt.
Das Bronzepferd im Wandrahmpark steht seit Anfang an ohne eine kommentierende Tafel hier. Verschwiegen wird der Bezug zum deutschen Faschismus und die besondere Bedeutung der Symbolik für die „Blut und Boden“ Mythen der Nazis. Durch die fehlende Kommentierung wird versucht, dem „Telschow-Gaul“ ein „normales“, unpolitisches und vor allem geschichtsloses Gesicht zu geben. Ein Niedersachsenross, wie es in Niedersachsen üblich ist. Durch das Fehlen einer geschichtlichen Einordnung und einer erklärenden Tafel im Wandrahmpark soll der Nazigaul als „Schmuck“ für den Park und den Tourismus weiterhin erhalten bleiben.
In Zeiten von Geschichtsumdeutungen und neuer deutscher Selbstherrlichkeit verschwindet ein lebendiges Erinnern immer mehr.
Mittlerweile sind viele Überlebende der faschistischen Gräueltaten verstorben und was oftmals bleibt, ist eine reine Aufklärungsarbeit über die NS-Zeit. Einher damit gehen öffentliche Debatten, in denen die Opfer des Faschismus mit den deutschen Opfern des Krieges und den sog. Vertriebenen auf eine Stufe gestellt werden. Beispiele dafür sind Bestseller wie Jörg Friedrichs „Der Brand“, die mediale Repräsentationen des „deutschen Leids“ wie Guido Knopps Dokumentationsreihe „Die große Flucht“ oder Bernd Eichingers Film „Der Untergang“. Der kritische Blick auf die Täter soll verstellt und ihre Verbrechen relativiert werden. Örtliches Beispiel dafür ist der sog. „Friedenspfad“ der „Friedensstifftung Günter Manzke“, wo militaristische Wallfahrtsorte und nationalistische Mythen präsentiert und die Opfer der Kriege und des deutschen Faschismus dazu vereinnahmt werden. Die Täter, seien es deutsche Kolonialisten, Kriegstreiber, Soldaten der Wehrmacht oder der Gauleiter der NSDAP, werden beim „Friedenspfad“ auch als Opfer präsentiert und die eigentlichen Opfer, wie z.B. die in Massen ermordeten Herero und Nama in Afrika, die mehr als 8000 weißrussischen Zivilisten oder die in Lüneburg ermordeten KZ-Häftlinge, spielen entweder gar keine oder nur am Rande eine Rolle. 70 Jahre nach Auschwitz muss die Frage nach der politischen Verantwortung gestellt werden. Sie darf aber nicht in einem selbstzufriedenen Umgang mit der NS-Geschichte bestehen und eine „Lange her“-Rhetorik und ein Gedenken ohne Konsequenzen nach sich ziehen. Dem Trend der Relativierung und Verallgemeinerung ist deutlich zu widersprechen.
Die heutige Einweihung des Eisenbahnwaggons als Erinnerungsort wäre ein Zeitpunkt gewesen, den Nazigaul endlich abzubauen, um das gleichzeitige Nebeneinander der Symbole der Täter und einem Ort des Erinnerns und Mahnens zu verhindern. Das der Nazigaul heute hier noch steht, bedeutet eine tagtägliche Verhöhnung der Opfer des Faschismus und verhindert ein würdiges Gedenken.
Der „Telschow-Gaul“ muss von seinem bisherigen Standplatz entfernt werden. Wenn er überhaupt wieder aufgestellt werden soll, dann mit einer entsprechenden Kommentierung, damit der historische und politische Hintergrund deutlich wird. Ein Verbleiben neben dem Eisenbahnwaggon verbietet sich! Wir sind es den im April 1945 in Lüneburg ermordeten KZ-Häftlingen schuldig, eine angemessene Gedenkkultur zu schaffen und ein ungestörtes Erinnern und Gedenken zu ermöglichen.