Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen

Geschmacklos!

Anzeige in der Landeszeitung „75 Jahre Schuhhaus Schnabel“

Das Schuhgeschäft Schnabel „feiert“ sein 75 jähriges Bestehen. In einer großen Anzeige in der Landeszeitung vom 27. November 2013 wird allerdings verschwiegen, wie die Familie Schnabel zu diesem Geschäft kam und wer vorher Besitzer des Schuhgeschäfts in der Bardowicker Straße 12 war.

Anfang 1938 war dort noch das Schuhgeschäft Behr. Die Besitzer die jüdische Familie Baden-Behr. Das Schuhhaus wurde schon im Jahre 1852 von Aron Behr gegründet.

Schon am 27. März 1933 wird das Geschäft Opfer der antisemitischen Attacken der Nationalsozialisten. Unter der der Parole „Kauft nicht bei Juden“ standen SA-Leute vor dem Geschäft. Später kleben gegenüber des Ladens Plakate mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“. Ein ortsansässiger Kollege veranlasst, dass dem Schuhhaus-Behr die Salamanderschuhvertretung gekündigt wird. Damit sind zusätzlich zum Boykott ihres Geschäftes weitere finanzielle Einbußen verbunden. Das Geschäft trägt sich nicht mehr, die Lebenssituation wird zunehmend schwierig. Die Besitzer Lucy Behr (geb. Behr) und Sally Baden entscheiden sich notgedrungen zum Verkauf des Schuhgeschäfts. Käufer ist Carl Schnabel. Dieser erwirbt das Geschäft samt Inventar und Warenlager für insgesamt ca. 65 600 RM. Der tatsächliche Wert allein schon der Schuhe im Lager betrug allerdings 70 000 RM.

Gleichzeitig vermietet die Familie Baden-Behr das gesamte Haus an Carl Schnabel zu einem günstigen Preis. Sie selber haben zunächst Wohnrecht, verpflichten sich aber, bald auszuziehen.

Herr Baden wird im November 1938 auf einer Reise verhaftet und kommt ins KZ Sachsenhausen, Anfang 1939 wird er entlassen.

Die Kinder kümmern sich eilig um Papiere für die Ausreise der Eltern nach Palästina. Vor der geplanten Ausreise verkaufen diese ihr Haus an Carl Schnabel, der es zuvor nur gemietet hatte. Carl Schnabel gelingt es, den Preis des Hauses so weit zu drücken, dass er für das Grundstück samt Gebäude nur 37 000 RM zahlen muss. Das Ehepaar Baden-Behr kann über das Geld nicht frei verfügen, da mittlerweile eine sog. «Sicherungsanordnung» gegen sie vorlag.

Im Dezember 1939 müssen sie ihre Wohnung verlassen, ziehen in die Bäckerstraße und danach müssen sie mehrmals umziehen.

Ab September 1941 müssen sie sich gelbe Sterne an die Kleidung nähen und offen tragen.

Da sie in kein Geschäft mehr zum Einkaufen gehen dürfen, wird die Ernährungssituation immer problematischer. Von einer Nachbarin bekommen sie heimlich nachts Essen vor die Tür gestellt. Als Zeichen dient eine leere Vase im Fenster.

Herr Sally Baden und seine Frau Lucy Behr-Baden wurden Anfang Dezember 1941 über Hamburg nach Riga deportiert. Dort verliert sich ihre Spur.

Im Dezember 1949 beantragt der in Tel Aviv lebende Sohn Arnold Behr die Rückerstattung des Grundstücks. Der Anwalt von Schnabels beantragt wiederum die Zurückweisung dieses Antrags. Letztlich einigen sie sich außergerichtlich auf die Zahlung von 40 000 DM. Davon kommen aufgrund verschiedener Gebühren und ungünstiger Wechselkurse bei den drei überlebenden Kindern jeweils nur 3000 DM an.

Die Geschichte der Familie Baden-Behr und des heutigen Schuhgeschäfts Schnabel ist ein Beispiel der „Arisierung“ jüdischen Eigentums und der Verfolgung der Jüdinnen und Juden in Deutschland, die im Massenmord an den Jüdinnen und Juden in Europa mündete.

Heute erinnert ein Stolperstein vor dem Geschäft an die Familie Baden-Behr. Bis heute gibt es kein Wort des Bedauern oder eine Entschuldigung seitens der Familie Schnabel, die von der Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden profitiert haben. Sie können heute ihr 75 jähriges Bestehen begehen, während die Vorbesitzer ermordet wurden.

Die ganzseitige Anzeige ist an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Hier gibt es nichts zu feiern!

Lüneburg, 27. November 2013
Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen

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