Trotz Energiewende verurteilen Gerichte Atomkraftgegner für den Aufruf zum Protest
Der Streit ums »Schottern« der Castorstrecke ist noch nicht entschieden. Allein für den Aufruf zu der Aktion verhängen Gerichte Geldstrafen. Atomkraftgegner wollen das nicht auf sich sitzen lassen.
Wegen des Aufrufs zum »Schottern« der Castorgleise wurde ein 41-jähriger Atomkraftgegner aus Lüneburg zu einer Geldstrafe verurteilt. Olaf Meyer hatte beim Atommülltransport 2010 ins niedersächsische Gorleben bei einer Demonstration seine Rede mit den Worten beendet: »Atomausstieg ist Handarbeit! In diesem Sinne: Castor Schottern«. Damit war gemeint, Steine aus der Castorstrecke zu holen, um damit den Atommülltransport zum Stoppen zu zwingen. Das Amtsgericht Lüneburg sieht in den beiden Worten eine »öffentliche Aufforderung zu einer Straftat« und verurteilte den Mann nun zu 16 Tagessätzen.
Für Meyer ist die Entscheidung des Gerichts nicht nachvollziehbar. Atomkraftgegner werden verknackt, aber die Atomindustrie dürfe – trotz der Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima – weiterhin »Profite mit der höchst gefährlichen Atomtechnologie machen«. Er verzichtet dennoch auf Widerspruch und wird die 300 Euro zahlen.
Für zwei Mitglieder der LINKEN in Wilhelmshaven ist das letzte Wort hingegen noch nicht gesprochen. Sie wollen eine Entscheidung des dortigen Amtsgerichts anfechten, das sie Ende Mai zu 30 und 70 Tagessätzen verurteilt hatte. Grund für die happige Strafe: Die beiden hatten im vergangenen Jahr an ihrem Infostand Plakate der Kampagne »Castor? Schottern!« aufgehängt. Und zwar nicht zum ersten Mal. Ein Verfahren wegen desselben »Vergehens« war jedoch vom Amtsgericht eingestellt worden. Umso überraschter sind sie nun.
Auch der Streit über die Strafbarkeit der Schottern-Erklärung ist noch nicht entschieden. Rund 2000 Menschen hatten im Jahr 2010 im Internet ihre Sympathie für die Aktion erklärt. Die Polizei reagierte mit rund 1800 Ermittlungsverfahren gegen Unterzeichner, die Staatsanwaltschaft drohte mit saftigen Freiheitsstrafen. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Vielmehr will sie die Aktenberge vom Tisch haben und bietet Unterzeichnern an, auf die Klage zu verzichten, wenn sie einen kleinen Betrag an einen Verein überweisen. Aus Sicht der Schottern-Kampagne ein Beweis, dass es bei den Strafandrohungen vor allem um Abschreckung ging.
Eine Handvoll Aktivisten zahlte. Viele Unterzeichner meldeten sich auf Schreiben der Polizei aber gar nicht erst zurück. Rund 450 Verfahren wurden deshalb eingestellt, weil nicht eindeutig herausgefunden werden konnte, wer sich hinter der Unterschrift verbirgt.
Andere Atomkraftgegner wollen die Sache hingegen nicht sang und klanglos abhaken und einen richtigen Freispruch erreichen. Sie lassen es deshalb auf einen Prozess ankommen. Ein erster Atomkraftgegner wurde im März verurteilt, in zwei Wochen steht ein weiterer Schottern-Aufrufer in Lüneburg vor Gericht. Auch Bundestagsabgeordnete der LINKEN wollen die Frage juristisch klären lassen. Sie haben das Einstellungsangebot abgelehnt, die Staatsanwaltschaft will die Aufhebung ihrer Immunität beantragen. Die Kampagne »Castor? Schottern!« sammelt Spenden zur Unterstützung. Wie viel sie noch brauchen werden, ist unklar. Über 1000 der eingeleiteten Ermittlungsverfahren sind eineinhalb Jahre nach dem Castortransport noch offen.
Auch beim bislang letzten Castortransport ins Wendland im November haben wieder zahlreiche Menschen ihre Solidarität mit den angekündigten Schottern-Aktionen ausgedrückt. Der Text meinte dasselbe, war aber etwas anders formuliert. Die Staatsanwaltschaft dürfte erleichtert gewesen sein. Sie will diesmal keine Verfahren wegen des Aufrufs einleiten, heißt es.
Amtsgericht erteilt Anti-Atomkraft-Aktivist eine Strafe in Höhe von 480 Euro. Das verursachte wütende Zwischenrufe im Gerichtssaal.
Lüneburg. „Ich danke Ihnen für diese erhellenden Worte“, sagt Richter Rüdiger Hobro-Klatte, bevor er sich für etwa eine Viertelstunde zur Urteilsfindung zurückzieht. Vor ihm hatte der Angeklagte Olaf Meyer das „letzte Wort“. Zum Ende seines Statements sagte der langjährige Aktivist der regionalen Anti-Atom-Bewegung: „Zum Castor, zu Gorleben, zum ´Atomausstieg´ ist alles gesagt. Aber jetzt ist es dran, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir müssen alle gemeinsam mit unterschiedlichsten Aktionen den Castor aufhalten. Atomausstieg ist Handarbeit. In diesem Sinne: Castor Schottern!“
Damit wiederholte er genau die Worte, die ihn gestern Morgen auf die Anklagebank im Amtsgericht am Ochsenmarkt gebracht hatten.
Nur wenige Meter entfernt, auf dem Marktplatz vor dem Lüneburger Rathaus, hatte Meyer am 5. November 2010 auf einer Kundgebung gesprochen, zu der nach Veranstalterangaben 2000 Demonstranten gekommen waren. Zum Abschluss seiner Rede hielt Meyer ein 50 mal 70 Zentimeter großes Plakat der Kampagne „Castor Schottern“ hoch. Das stellt für die Staatsanwalt Lüneburg eine „Öffentliche Aufforderung zu Straftaten in Verbindung mit Störung öffentlicher Betriebe“ dar.
„Was in diesem Zusammenhang Schottern bedeutet, hat wohl selbst der letzte Depp begriffen“, sagt Richter Hobro-Klatte. Man müsse nur „eins und eins zusammenzählen“. Das Plakat zeigt ein Kind, das mehrere Steine aus einem Gleisbett sammelt.
In einem ähnlichen Prozess hatte Hobro-Klatte am 15. März den 50 Jahre alten Gotthilf Lorch zu einer Geldstrafe von 375 Euro verurteilt. Der Mann aus Tübingen hatte sich bei der Verhandlung in Lüneburg unumwunden dazu bekannt, dass er einen Aufruf zum sogenannten Schottern der Castor-Strecke auf einer Internetseite namentlich unterzeichnet hatte. Er habe damit seine Solidarität mit den Aktivisten zum Ausdruck bringen wollen. Selbst handfest an der Aktion teilzunehmen, sei ihm aufgrund einer Körperbehinderung nicht möglich gewesen. Direkt aufgefordert, eine Straftat zu begehen, habe er damit aber niemanden.
Das Amtsgericht folgte jedoch der Argumentation der Staatsanwaltschaft Lüneburg. Demnach habe sich der Unterzeichner der Solidaritätsbekundung die Erklärung zu eigen gemacht und daher öffentlich mit dazu aufgerufen, die Schienenstrecke zu unterhöhlen und damit für den Bahntransport von Castor-Behältern mit Atommüll durch das Wendland unpassierbar zu machen. Diese illegale Protestform gegen Transporte in das Atommülllager in Gorleben ist ein relativ neues Phänomen.
Seit zwei Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen knapp 1780 Menschen und Gruppen, die wie Lorch die Schottern-Erklärung unterzeichnet hatten. Mehr als 300 dieser Verfahren hat die Ermittlungsbehörde inzwischen eingestellt. Vielen anderen der Unterzeichner bot sie dies ebenfalls an, wenn die Beschuldigten im Gegenzug eine Spende an eine gemeinnützige Organisation leisten.
Gotthilf Lorch, der zum Zeitpunkt seiner Unterzeichnung Landtagskandidat der Linkspartei in Baden-Württemberg war, hatte vor Prozessbeginn eine Einstellung des Gerichtsverfahrens gegen eine Zahlung von 100 Euro abgelehnt. Zahlreiche Unterstützer der regionalen Anti-Atom-Bewegung hatten die Begründung des Urteils gegen Gotthilf Lorch von den Besucherbänken aus mit Zwischenrufen quittiert.
Bei dem gestrigen Prozess gegen Olaf Meyer, der gegen einen Strafbefehl in Höhe von 300 Euro Einspruch eingelegt hatte, steigerte sich das Protestpotenzial. Rund 50 Zuhörer nahmen im Verhandlungssaal 8 des Amtsgerichts Platz. Weitere Besucher ließen die sieben eingesetzten Justizfachmeister, die für die Sicherheit im und vorm Gerichtssaal sorgten, nicht mehr herein.
Heraus ging die Mehrzahl der Zuhörer aber bereits vor dem Schluss der Verhandlung. Ein erstes lautes Raunen ging durch den Raum als Richter Hobro-Klatte eine Geldstrafe von 16 Tagessätzen zu je 30 Euro verkündete. Die Staatsanwaltschaft hatte 15 Tagessätze gefordert. Den kollektiven Auszug ins Freie führte der Angeklagte selbst an – nach einer Bemerkung des Richters.
Weil Meyer anders als Lorch nur verklausuliert zu seiner Straftat gestanden habe, nannte Hobro-Klatte ihn „ein Stück weit feige“. Damit erntete er wütende Zwischenrufe wie „Frechheit!“ und „Unverschämt!“. „Das hier ist doch ein Kasperletheater“, sagte dazu Kletteraktivistin Cécile Lecomte ironisch. Darin gab ihr der Amtsrichter Recht.
Lüneburger Rundschau (Hamburger Abendblatt), 1. Juni 2012
Mir wird vorgeworfen, dass ich zu einer Straftat aufgerufen hätte. Doch es geht hier um mehr als nur um eine angeblich kriminelle Handlung. Es geht auch um die Fragen, was hier so alles erlaubt ist und was eben nicht, warum dies so ist und warum sich die Justiz zum Handlager des kriminellen Systems der Atomindustrie und deren Helfeshelfer_innen in den Regierungen macht.
Um es gleich zu Beginn zu sagen, ich halte das was ich gesagt habe für legitim und in der damaligen Situation für angemessen. Auch halte ich Castor Schottern für ein legitimes und erfolgreiches Mittel der Anti-Atom-Bewegung.
Massenhafte kollektive Regelübertretungen sind in den letzten Jahren zu einer neuen Kultur der Zusammenarbeit und Konfliktbereitschaft geworden und ermöglichen Erfolge wie im Wendland gegen die Castortransporte oder in Dresden gegen die dortigen Naziaufmärsche. Dafür muss mensch sich nicht entschuldigen, sondern „Weiter so“ sagen.
Wenn wir dies insgesamt juristisch betrachten wollen, so halte ich diese massenhaften kollektiven Regelverstöße durch das sog. Widerstandsrecht im Grundgesetz gedeckt.
„Zum Castor, zu Gorleben, zum „Atomausstieg“ ist alles gesagt. Aber jetzt ist es dran, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir müssen alle gemeinsam mit unterschiedlichen Aktionen den Castor aufhalten. Atomausstieg ist Handarbeit! In diesem Sinne: Castor Schottern!“
Diese politische Aussage traf ich am Ende unserer Demonstration am 5. November 2010 auf dem Lüneburger Marktplatz. Die Demonstration des Lüneburger Aktionsbündnis Castor Widerstand, für die ich damals Anmelder und Versammlungsleiter war, stand unter dem Motto „Hart Backbord – Castor stoppen! Energiekonzerne enteignen und vergesellschaften!“ und zählte über 2000 Teilnehmer_innen.
Für die Polizei, Staatsanwaltschaft und das Gericht stellt diese politische Aussage eine „öffentliche Aufforderung zu Straftaten in Verbindung mit Störung öffentlicher Betriebe“ dar.
Wenn wir uns die Verhältnisse in diesem Land anschauen, dann verwundert dies nicht. Unter den noch herrschenden Verhätnissen es ist veboten, diese Worte zu sagen, während es gleichzeitig und trotz der Katastophen von Tschernobyl und Fukushima erlaubt ist, das die Atomindustrie ihre Profite mit der menschenverachtenden und höchst gefährlichen Atomtechnologie macht.
Erlaubt ist, dass trotz der erwiesen Gefahren durch die Strahlung der Castorbehälter, diese weiterhin kreuz und quer durch Europa zu transportien. Verboten dagegen der Protest gegen Castortransporte auf den Transportstrecken.
Erlaubt ist, hochradiaktiven Atommüll einfach in die Asse zu schütten und gleichzeitig ein Endlager in Gorleben zu bauen, obwohl es keine sichere Endlagerung geben wird und wissenschaftlich längst bewiesen ist, dass sich Salzstöcke dafür nicht eignen. Verboten ist dagegen die Zäune um die Endlagerbaustelle in Gorleben niderzureißen und die Schächte wieder zuzuschütten,.
Erlaubt ist, dass z.B. im letzten Jahr das Camp in Dumstorf verboten wurde. Verboten dagegen die Versammlungsfreiheit für viele tausend Menschen entlang der Transportstrecke.
Erlaubt ist, dass Polizisten – nicht nur im Jahr 2010 – äußerst brutal gegen Menschen vorgegangen sind und viele davon zum Teil schwer verletzten, die auf der Transportstrecke ihren Protest artikulieren wollten. Erlaubt ist dabei das massenhafte Zusammenschlagen von Menschen, der massenhafte Einsatz von Pfefferspray und Tränengasgranaten, was hunderte Verletzte zur Folge hatte. Verboten dagegen der Einsatz für das Leben und die Zukunft der Menschheit mittels der Erklärung Castor Schottern!
Erlaubt ist, dass der Lüneburger Polzeipräsident Niehörster die bekannte Anti-Atom-Aktivistin Cecile Lecomte als „krank“ und „verrückt“ beleidigen darf, während es verboten ist, so über Herrn Niehörster zu reden, auch wenn uns eine solche Wortwahl zuwider wäre.
Erlaubt ist auch das Nazis Woche für Woche irgendwo in Deutschland ihre widerwärtigen Aufmärsche durchführen können und die Polizei ihnen den Weg dafür immer wieder freiprügelt. Verboten dagegen sind Blockaden und andere antifaschistische Aktionen, die es nicht nur bei Sonntagsreden belassen und eine Konsequenz aus der deutschen Geschichte gezogen haben.
Erlaubt sind mehrtägige Versammlungsverbote von antikapitalistischen Protesten gegen die europäische Sparpolitik und ungerechte Lebensverhältnisse, wie vom 16. bis 19. Mai in Franfurt am Main. Verboten waren fast sämtliche Aktionen im Rahmen der europäischen Aktionstage unter dem Motto „Blockupy – Widerstand gegen das Spardiktat von Troika und Regierung – Für internationale Solidarität und Demokratisierung aller Lebensbereiche“.
Erlaubt sind Waffenlieferungen deutscher Firmen an die Türkei und die Zusammenarbeit der deutschen Regierung und Polizeibehörden mit der türkischen Polizei und dem türkischen Militär. Und erlaubt sind in diesem Zusammenhang auch Abschiebungen in die Folterkeller in der Türkei. Verboten dagegen das Eintreten für Demokratie und Frieden in der Türkei und die kurdische Freiheitsbewegung PKK.
Erlaubt sind Abschiebungen von Roma z.B. nach Ungarn, wo sie in Armut leben müssen und durch rassistische Übergriffe bedroht sind. Verboten ist es Sand in das Getriebe der deutschen Abschiebemaschinerie zu streuen, wie zum Beispiel der gescheiterte Versuch im April 1995 den damals im Umbau befindlichen Abschiebeknast in Berlin-Grünau zu sprengen.
Erlaubt sind Kriegseinsätze zur Sicherung der ökonomischen und geostrategischen Interessen Deutschlands. Verboten sind Proteste gegen die Bundeswehr, wie z.B. am 27. April 2012 auf dem Lüneburger Marktplatz.
Erlaubt ist, dass Menschen keinen angemessenen Wohnraum finden, auf der Straße leben müssen und gleichzeitig Immobilienhändler mit Wohnraum spekulieren und immer größere Profite erzielen können. Verboten dagegen, dass Menschen sich Lebensraum aneignen, Häuser besetzen oder versuchen alternative Lebensentwürfe wie in der Lüneburger Frommestrasse zu entwickeln.
Diese Liste ließe sich jetzt noch stundenlang fortsetzen und Euch fallen sicher noch viele andere Beispiele ein.
Am Beispiel der Atomtechnologie zeigt sich ein System, das ganz bewusst mit dem Leben und der Gesundheit der Menschen und Umwelt spekuliert. Die Gier nach Profit und Macht geht dabei über Leichen. Für die Konzerne und ihrer Helfershelfer_innen in den Regierungen steht ihr Profitinteresse im Vordergrund, und dafür nehmen sie Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Umwelt billigend in Kauf. Widerstand gegen diese herrschenden Verhältnisse ist dabei störend und soll mit allen erdenklichen Mittel bekämpft werden, damit alles so bleibt wie es ist. Deswegen sind wir heute hier in diesem Saal.
Im Aufruf zur Demonstration im November 2010 haben wir folgendes zum Thema Repression geschrieben: „Die Verschärfung der Repression hängt auch zusammen mit den ökonomischen Widersprüchen der bestehenden Gesellschaftsordnung. Gerade in Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise mit ihren verheerden Folgen für die abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentner_innen, Schüler_innen wächst die Angst der Herrschenden vor „sozialen Unruhen“. Mit der Zunahme repressiver Strategien auf allen sozialen Feldern soll ein Bewusstsein vorangetrieben werden, dass die gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme nicht strukturell zu lösen seien, sondern durch Sanktion, Ausschluss und Verdrängung. Die Macht der HeRRschenden – also auch der Atomwirtschaft – soll mit Repression gesichert werden.“
Repression und Klassenjustiz sind gekennzeichnet von der Durchsetzung ökonomischer Interessen für die herrschenden Eliten. Dazu habe ich im November 2010 in einem weiteren Redebeitrag folgendes gesagt: “ Der Staat und seine Institutionen, Polizei, Justiz und Militär haben die Aufgabe, die bestehende unsoziale „Ordnung“ am Laufen zu halten oder eben einen Castortransport durchzuprügeln. Wer die Grundlage dieser Ordnung angreift, die Produktion für den Profit bekämpft und eine Wirtschaft will, in der für die Bedürfnisse aller Menschen produziert wird und die Produktionsmittel vergesellschaftet sind, wird automatisch zum Feind des Staates und kommt früher oder später mit den „Gesetzeshütern“ in Konflikt.“
Mensch könnte Polizeigewalt, eine ungerechte Rechtsprechung und Repression im Allgemeinen beklagen. Doch Jammern und Klagen hilft uns nicht weiter. Friedrich Engels hat mal folgendes dazu gesagt: „Nicht sich drehen und winden unter den Schlägen des Gegners, heulen und winseln und Entschuldigen stammeln. Widerhauen muss man, für jeden feindlichen Hieb zwei, drei zurück. Das war unsere Taktik von jeher und wir haben bis jetzt, glaub ich, noch so ziemlich jeden Gegner untergekriegt.“
Genau in diesem Zusammenhang standen auch meine Worte am Ende der Demonstration am 5. November 2010. Das mag für die Polizei und Staatsanwaltschaft und einige Richter_innen ein Aufruf zu irgendwas gewesen sein. Doch mir ging es in erster Line darum, dass zu sagen was verboten werden sollte und die Repression gegen Castor Schottern im Jahr 2010 zurückzuweisen. Ein solidarischer Gruß an alle Unterzeichner_innen der Erklärung der Kampagne Castor Schottern und an alle die in diesem Zusammenhang von Repression betroffen waren.
Diesen Gruß möchte ich an dieser Stelle noch einmal wiederholen und fordere, dass sämtliche Ermittlungsverfahren wegen Castor Schottern eingestellt werden. Die politische Aussage „Castor Schottern“ lässt sich auch nicht durch hunderte von Ermittlungsverfahren und Prozessen verbieten!
Wenn der von mir gesagte Satz jetzt 300 Euro kosten soll, dann wird davon die Welt nicht untergehen und der Widerstand gegen Castortransporte und Atomwirtschaft trotzdem weitergehen.
Wir wissen, dass nichts bleibt wie es ist. Was heute noch verboten oder eine Straftat sein soll, kann morgen schon erlaubt und kein Grund mehr für Gerichtsprozesse wie diesen heute sein.
Wer hätte im November 2010 gedacht, dass keine zwei Jahre später eine schwarz-gelbe Bundesregierung die ältesten Schrottreaktoren abschalten lässt – auch wenn das kein Ausstieg aus der Atomwirtschaft darstellt.
Und wie schnell sich herrschende Verhältnisse verändern lassen, zeigt der sog. Arabische Frühling – die im Dezember 2010 beginnende Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen in der arabischen Welt, welche sich, ausgehend von der Revolution in Tunesien, in etlichen Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika gegen die dort autoritär herrschenden Regime und die politischen und sozialen Strukturen dieser Länder richteten.
Mit Massenblockaden konnten wir in Dresden den Nazi-Großaufmarsch unterbinden, mit Tausenden behinderten wir effektiv den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und auch im Wendland haben wir in der Vergangenheit massenhaft mit unterschiedlichen Aktionen die Atommülltransporte blockiert.
Die bestehenden Verhältnisse sind nicht gott- oder verfassungsgegeben, sondern unterliegem einem steten Prozess der Veränderung. Wobei Politik keinesfalls nur Kommentierung des Bestehenden bedeutet, sondern Eingriff in gesellschaftliche Prozesse und die Geschichte wird zeigen, dass es gerechtfertigt und richtig war.
Im Strafbefehl des Amtsgerichts Lüneburg gegen mich vom 27. Februar 2012 schreibt Richter Hobro-Klatte, dass es mir darauf an kam, möglichst viele Personen für Castor Schottern zu erreichen und für die Aktion zu gewinnen, wobei dieser Aufruf allerdings ohne Erfolg blieb. Das ein Richter weiß, auf was es mir ankommt oder ich erreichen will, finde ich dann doch recht spannend und wie er darauf kommt, das der mir so unterstellte Aufruf ohne Erfolg blieb, wird wohl Geheimnis des Richters bleiben.
Der Castor-Transport 2010 vom 5. bis 9. November dauerte 92 Stunden von La Hague bis Gorleben, verursachte ca. 25 Mio. Euro Kosten und bedurfte knapp 20.000 Polizist_innen – zumeist am Rande ihrer Belastungsgrenze. 50.000 Menschen nahmen an der Auftaktkundgebung in Dannenberg teil, weit über 10.000 bei den unterschiedlichen Blockade-Aktionen und gut 4.000 Aktivist_innen beim Schottern. Niemals zuvor wurde ein Castor-Transport so lange aufgehalten. Das lag zum einen an der Breite und Vielfalt des Protestspektrums, aber auch am Zusammenspiel der verschiedenen Aktionsformen. Sei es die Blockade von Widersetzen, die flächendeckenden Treckerblockaden, die direkten Aktionen an der Schiene oder eben Schottern.
Mit der Kampagne Castor Schottern wurde eine kollektive Erfahrung eines lebendigen und direkten Widerstands geschaffen. In einer unversöhnlichen, aber berechenbaren Aktion haben sich Tausende der herrschenden Ordnung entgegen gestellt und erfahren können, dass durch massenhaften Regelverstoß erhebliche Handlungsspielräume entstehen können. Auch der temporäre Zustand einer solidarischen Gesellschaft im Wendland, produziert Erlebnisse, um eine Welt jenseits von Individualisierung und Konkurrenzdruck denken zu können. Es wurde möglich, kollektiv das staatliche Gewaltmonopol bewusst zu unterlaufen und gleichzeitig das Gegenprojekt zu einer Gesellschaftsordnung, die auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, zu formulieren: eine Gesellschaft, die bspw. die Energiegewinnung nach den Bedürfnissen der Menschen organisiert und in der die Bedingungen für das gute Leben für alle von allen ausgehandelt werden.
Das mag für einen Richter oder Staatsanwalt eine Horrorvorstellung sein. Für uns ein schönes Erlebniss und ein großer Erfolg, auf den wir aufbauen werden.
Wenn wir diesen Saal gleich wieder verlassen werden, dann werden wir weiterkämpfen: Für einen sofortigen und bedingslosen Ausstieg aus der Atomenergie, die Überwindung eines Systems, welches auf Ausbeutung, Ungerechtigkeit, ökologischer Zerstörung und Profitmaximierung ausgerichtet ist und für eine solidarische Welt.
Zum Schluß bleibt mir nur zu sagen: Zum Castor, zu Gorleben, zum „Atomausstieg“ ist alles gesagt. Aber jetzt ist es dran, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir müssen alle gemeinsam mit unterschiedlichen Aktionen den Castor aufhalten. Atomausstieg ist Handarbeit! In diesem Sinne: …
Richter schmäht Angeklagten im 2. Lüneburger Schotter-Prozess am 31.05.2012
Olaf Meyer, Aktivist der Antifaschistischen Aktion und seit 25 Jahren im Widerstand gegen die menschenverachtende Atomindustrie, verließ den überfüllten Saal 8 des Lüneburger Amtsgerichts während der Urteilsverkündung. Die solidarischen Zuhörer, darunter die fraktionslose Landtagsabgeordnete Christel Wegner (DKP), die Bundestagsabgeordnete Johanna Voß (Die Linke) und die international bekannte Kletteraktivistin Cécile Lecomte, folgten ihm. Denn Richter Hobro-Klatte hatte Olaf Meyers Engagement gegen den Castor-Transport, seine Zivilcourage vor Gericht als „ein Stück weit feige“ bezeichnet. – Das Urteil: 16 Tagessätze zu 20 Euro für „öffentliche Aufforderung zu Straftaten, der Störung öffentlicher Betriebe“ durch seine Solidaritätserklärung mit der Aktion „Castor Schottern“ am 05.11.2010.
Es gab nur einen YouTube-Kurzmitschnitt seiner Rede vor 2000 Demonstranten auf dem Lüneburger Marktplatz: „Wir müssen alle gemeinsam mit den unterschiedlichsten Aktionen den Castor aufhalten. Atomausstieg ist Handarbeit. In diesem Sinne: Castor Schottern.“
Nach Fukushima und dem erzwungenen Umlenken der CDU-FDP-Regierung hatte die Staatsanwältin für ein möglichst geringes Strafmaß plädiert und Olaf Meyer eine ehrenhafte, ums Gemeinwohl bemühte Motivation zugebilligt. Dem Richter, der schon im März den schwerstbehinderten Tübinger PDL-Politiker Gotthilf Lorch wegen seiner Unterschrift zur Kampagne „Castor Schottern“ abgeurteilt hatte, behagte so eine Anerkennung offenbar nicht. Wohl auch wegen dessen entlarvender politischer Abschlusserklärung in der Verhandlung. Darin verwies er auf die zunehmende Kriminalisierung und Repression von Atomkraftgegnern und deren zivilen Ungehorsams, gegen die sein Aufruf als Solidaritätsbekundung und Appell, sich nicht entzweien zu lassen gemeint war.
Auf der Demonstration vom 05.11.2010 hatte er mehrfach die Notwendigkeit gewaltfreien, möglichst legalen Protestes betont, was die Lüneburger „Ermittlungsgruppe Castor“ genauso wenig dokumentieren wollte, wie das Datum ihres heruntergeladenen „Beweismaterials“. Olaf Meyer bewies den Mut, sich zu diesem Datum und seinen Worten zu bekennen, auch eine Verurteilung würde an seinem Widerstandsgeist nichts ändern. „Ein Stück weit feige“?
Der Angeklagte hat auch auf eine, am 09.01.2012 vom Lüneburger Oberverwaltungsgericht skandalös abgewimmelte Beleidigungsklage von Cécile Lecomte hingewiesen. Polizeipräsident Niehörster hatte sie in einem NDR-Interview als „absolut nervig und krank“ und „verrückt“ beschimpft. Ihre Klage auf Widerrufung der Beleidigungen wies das Gericht ab, da es „keine Schmähkritik“, nur „ungeschickt“ aus dem längeren Interview „herausgelöst“ sei.
Wenn mit der Forderung nach „mehr Respekt“ drakonische Bestrafungen für „Majestätsbeleidigungen“ von Polizisten, Justizbeamten sowieso, eingeführt werden, wobei schlicht Gehorsam und Unterwürfigkeit das Ziel sein dürften, schleicht sich in Deutschland wieder eine seit Kaiser´s Zeiten beliebte Praxis der Entwürdigung politischer Widerständler durch die Staatsorgane ein, die offenbar folgenlos bleibt. Während so etwas ungeahndet, nicht einmal als untrüglicher Beweis von Befangenheit gewertet bleibt, drohen dem Zivilbürger bei der kleinsten Unbotmäßigkeit unter Verletzung der Rechtsgleichheit härtere Strafen, als bei Beleidigungen unter Privatleuten.
Olaf Meyer wies vor Gericht auf diese Gefahren für unser demokratisches System hin: Wachsender Unmut und Widerspenstigkeit der Bevölkerung in Krisenzeiten werden im Kapitalismus stets mit zunehmender Repression und Beschneidung der Grundrechte durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Polizeikräfte beantwortet. Wehret den Anfängen! Solidarisiert Euch mit den Angeklagten auch der folgenden Schotter-Prozesse! – Merke: „Das Auge der Justiz sitzt im Gesicht der herrschenden Klasse!“
Das Amtsgericht Lüneburg verurteilte den Sprecher der Antifaschistischen Aktion Lüneburg/Uelzen wegen einem angeblichen „Aufruf zu Straftaten“ zu einer Geldstrafe in Höhe von 320 Euro.