Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen

Offener Brief an den Lüneburger Kreisverband der Partei „Die Linke“

In der zweiten Ausgabe eures Werbeblättchens „Lüne Links“ zur Landtagswahl befindet sich auf der Titelseite und auf Seite 3 der Artikel „Jobben für einen Euro: Armut trotz Arbeit“. Illustriert ist dieser mit zwei Bildern, auf denen Mitglieder der Partei „Die Linke“ mit „Protestschildern“ posieren. Auf diesen Schildern befindet sich in abgewandelter Form das Symbol des „Reichsarbeitsdienstes“ der Nazis. Statt eines Spatens mit Hakenkreuz befindet sich auf den Bildern das Logo der Bundesagentur für Arbeit.

Wir halten die von euch gewählte Symbolik für politisch fatal und sie stellt auch eine Verharmlosung der faschistischen Terrorherrschaft der Nazis dar.

Die Bundesagentur für Arbeit ist – trotz aller Kritik an dieser Behörde – keine faschistische Einrichtung und eure Gleichsetzung ist auch eine Beleidigung der dort arbeiteten Menschen. Das sich für diese dumme Aktion auch noch ein Mitglied aus dem Vorstand des Lüneburger Ortsvereins von Ver.di hergibt ist zusätzlich bedauerlich.

Die berechtigte Kritik am Sozialabbau und der anwachsenden Armut heute in Deutschland an Hartz IV und anderen sozialen Grausamkeiten muss anders aussehen, als eine Gleichsetzung mit der Politik der Nazis.

Der Reichsarbeitsdienst

Der Reichsarbeitsdienst (RAD) war eine Organisation des nationalsozialistischen Machtapparates im Deutschen Reich. Ab Juni 1935 musste dort jeder junge Mann eine sechsmonatige, dem Wehrdienst vorgelagerte Arbeitspflicht ableisten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde der Reichsarbeitsdienst auch auf die weibliche Jugend ausgedehnt. Der Reichsarbeitsdienst war ein wichtiger Bestandteil der Ökonomie im faschistischen Deutschland.

Der Arbeitsdienst ist keine Erfindung der Nazis. Die Idee eines Pflichtarbeitsdienstes hatten die Nazis aus Bulgarien übernommen, das in einer dem Deutschen Reich vergleichbaren Situation bereits 1920 einen Pflichtdienst eingeführt hatte. Aber auch in Deutschland selbst führte schon die Regierung Brüning 1931 einen „Freiwilligen Arbeitsdienst“ ein, der zum Abbau der hohen, durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Arbeitslosigkeit dienen sollte.

Nachdem die Nazis in Deutschland die Macht erlangten, wurde Konstantin Hierl zum Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium und mit der Bildung eines zunächst noch freiwilligen Arbeitsdienstes beauftragt. Später wechselte der Aufgabenbereich von Hierl ins Innenministerium und Hierl wurde zum „Reichskommissar für den freiwilligen Arbeitsdienst“ ernannt. Am 26. Juni 1935 wurde im Deutschen Reich die Arbeitsdienstpflicht eingeführt und der „freiwillige Arbeitsdienst“ in einen Pflichtdienst umgewandelt

Innerhalb des nationalsozialistischen Systems erfüllte der Reichsarbeitsdienst mehrere Aufgaben. Den offiziellen Zweck gab §1 des Gesetzes über den Reichsarbeitsdienst wieder:

„Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am deutschen Volke. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volke im Reichsarbeitsdienst zu dienen. Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen. Der Reichsarbeitsdienst ist zur Durchführung gemeinnütziger Arbeiten bestimmt.“

Danach war der RAD Teil des nationalsozialistischen Erziehungssystems. Der RAD war wie alle nationalsozialistischen Organisationen streng hierarchisch gegliedert und militärisch organisiert. Die Dienstleistenden waren paramilitärisch eingekleidet und hatten dementsprechende Uniformen mit Rangabzeichen. Die Ableistung der Arbeitsdienstpflicht war Voraussetzung für die Zulassung zum Hochschulstudium.

Der RAD diente auch zur Kontrolle der Bevölkerung und Eingliederung der Menschen in das faschistische Zwangskollektiv, der sogenannten „Volksgemeinschaft“.

Der RAD wurde anfangs bei Kultivierungs- und Entwässerungsarbeiten sowie beim Deich- und Autobahnbau oder in der Forstwirtschaft eingesetzt. Frauen wurden bei Haus- und Feldarbeiten in der Landwirtschaft eingesetzt.

Die Organisation war klar durchstrukturiert: Der RAD gliederte sich in „Arbeitsgaue“, „Gruppen“ und „Abteilungen“. Für die Betreuung und Unterhaltung standen „Heildienste“ und „Musikzüge“ bereit, und für die Zeit danach sorgte die Organisation „Arbeitsdank“ mit Krediten, Kursen, Beratungen und Erholungsheimen für eine lückenlose Reintegration der Ausgeschiedenen.

Im Krieg wurde der RAD immer mehr zu kriegswichtigen Bauaufgaben eingesetzt. So auch unmittelbar hinter der Front zum Bau militärischer Anlagen und beim Wege- und Brückenbau. Im Oktober 1942 gingen die in den besetzten Gebieten der Sowjetunion eingesetzten Mannschaftsgrade der RAD-Einheiten fast vollständig in Feldausbildungsregimenter der Wehrmacht auf.

Ab 1943 wurden aus RAD-Abteilungen auch selbstständige Flakbatterien gebildet. Die Mannschaften erhielten eine Flakausbildung bei der Luftwaffe und besetzten die Geschütze in RAD-Uniform. Andere Abteilungen bauten am Mittelmeer Strandverhaue und kleinere Bunkeranlagen. Viele Abteilungen wurden auch zu Rodungsarbeiten für verlagerte Rüstungsproduktionen im Reichsgebiet eingesetzt.

Nachdem Heinrich Himmler 1944 zum Chef des Ersatzheeres ernannt wurde, wurde dem RAD die militärische Grundausbildung übertragen, um diese Zeit bei den Ausbildungstruppenteilen der Wehrmacht einzusparen oder abzukürzen.

Gegen Kriegsende wurden mindestens drei selbstständige RAD-Infanteriedivisionen aufgestellt, die noch um Berlin kämpfen mussten.

Der RAD wurde nach der militärischen Zerschlagung Nazi-Deutschlands durch das Kontrollratsgesetz Nr. 2 verboten und aufgelöst.

1-Euro-Jobs = Reichsarbeitsdienst?

Die faschistische Wirtschaftsorganisation sollte in den Zeiten von „Hartz IV“ eine besondere Aufmerksamkeit haben. Eine Gleichsetzung mit heutigen Formen von Zwangsarbeiten, wie den 1-Euro-Jobs, verbietet sich allerdings. Spätestens seit Kriegsbeginn im September 1939 stand der Reichsarbeitsdienst unter direkter militärischer Kontrolle. Befehlsstrukturen, Arbeitslager, Kampfeinsatz – nichts davon findet sich in der Gegenwart.

Nazi-Deutschland war ein Überwachungs- und Kontrollstatt. Neben der GESTAPO und anderen Geheimdiensten sorgten die verschiedensten NS-Organisationen, wie z.B. die HJ oder der RAD, neben einer Eingliederung in den NS-Staat, auch für eine Überwachung der Menschen.

So gab es unter anderem die Pflicht, für jeden Beschäftigten, ein Arbeitsbuch zu führen. Damit waren Staat und Wirtschaft über das Verhalten der Arbeitskräfte in allen „normalen“ Wirtschaftsbereichen umfassend informiert. Anhand des Arbeitsbuches konnten auch Fehlzeiten erkannt werden. Von bestimmten Fehlzeiten an galt man als „Arbeitsscheuer“ oder „Asozialer“, der Repressalien bis hin zu Freiheitsentzug unterworfen werden konnte. Die polizeiliche Verfolgung konnte auch im Gefängnis oder Konzentrationslager enden.

Dennoch ist die Frage nach historischen Parallelen nicht gegenstandslos – man muss sie auf die Vorgeschichte des RAD beziehen, die bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurückreicht. Was wir dagegen heute erleben, erinnert vor allem an die Vorgeschichte des RAD, an Leistungskürzungen und an die Bildung einer Reservearmee, die mit eingeschränkten Rechten und zu möglichst geringen Kosten in die Arbeitspflicht genommen wird.

Auch stellt sich die Frage nach einer ideologischen Komponente, die auch durch den RAD in der Gesellschaft geprägt wurde.

Harte Arbeit habe noch niemandem geschadet, empfahl Konstantin Hierl in einem in den 1950er Jahren erschienenen Buch. Eine Einstellung, die im Wirtschaftswunder angekommene deutsche Gesellschaft systemimmanent war und bis heute mitgetragen wurde. Ganze Generationen empfinden normale Arbeit als befreiend und gesellschaftliche Teilhabe wurde zumeist an Arbeit und Leistung festgemacht. Wer nicht arbeitet – keine Leistung erbringt, der soll auch heute mit einer Arbeitspflicht zur Arbeit gezwungen werden. 1-Euro-Jobs und ähnliche „Arbeitsgelegenheiten“ dienen nicht nur der Disziplinierung der Erwerbslosen, sondern vermitteln auch die Ideologie, nach der nur wer arbeitet Anrecht auf Lohn bzw. staatliche Zuwendungen hat.

Ein Vergleich der 1-Euro-Jobs und anderer Formen von Zwangsarbeit heute, mit dem Reichsarbeitsdienst der Nazis ist nicht nur falsch, weil die gesellschaftlichen Bedingungen heute andere sind, sondern auch gefährlich, weil dadurch die historischen Erfahrungen des deutschen Faschismus der Beliebigkeit preis gegeben werden und immer eine Verharmlosung der Verbrechen der Nazis damit einhergeht.

Auch hinsichtlich eurer „Wahlparty“ am 27. Januar 2008, wo neben Bier und Fröhlichkeit auch noch der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz gedacht werden sollte, erwarten wir von euch eine Auseinandersetzung mit dem Thema und Stellungnahme.

16. Februar 2008
Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen

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